Überschwemmungsgebiet

Inszenierte Drehbuchlesung im Gewölbe unter dem Isenburger Schloss, Offenbach
Diplomarbeit 2023
*Diplom mit Auszeichnunng

Szenische Lesung:
Jochen Döring
Andreas Jahnke

Konzept, Drehbuch, Regie und Technische Umsetzung:
Josefine Köhler

Fotos:
Jakob Dieckmann
Jascha Bernhard

Wir befinden uns im alten Gewölbekeller unter dem Isenburger Schloss in Offenbach am Main, dessen Areal in einem Überschwemmungsgebiet liegt. Es ist feucht und dunkel und das Gewicht des Schlosses über der niedrigen Decke ist spürbar. Durch die Ritzen an Wänden und Boden drückt sich Sickerwasser und in der Raummitte bildet sich eine Lache. Ein schwaches Licht schimmert in der Dunkelheit. Die Zuschauenden brauchen einen Moment, um sich im Dunkeln zu orientieren und tasten sich langsam vor. Weit hinten im Gewölbe leuchtet eine Lampe über einem Tisch, an dem zwei Personen eine Drehbuchlesung durchführen.

Die Drehbuchlesung nimmt eine visuelle Durchdringung der Architekturen und deren Bezüge und Hierarchien rund um den Isenburger Schlossplatz vor. Nach einem fiktiven Starkregenereignis kommt es zu einem Rückstau im Kanalnetz, woraufhin das Abwasser aus den Gullis tritt und das Areal um den Schlossplatz geflutet wird. Die hybride Textform des Drehbuchs besteht aus wenigen technischen Anweisungen (Leser 1) und vielen bildsprachlichen Ortsbeschreibungen (Leser 2). Es gibt keine Personen, sondern nur die Flut und die Architektur bzw. die technischen Anweisungen und die Bildsprache als Hauptakteure. Im Verlauf des Flut-Szenarios spannt sich die Wasserfläche wie ein glänzender Spiegel um das Schloss und zwischen die Gebäude im alten Stadtkern und trennt oder verbindet sie. Die geflutete Fläche wird schließlich zu einer Bühne, auf der das Schloss agiert.












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SZENE 6: INTERN - FILMLAGER IM HOCHSCHULGEBÄUDE.
Totale ins Filmlager Richtung Fenster. Von draußen dringt die Geräuschkulisse gedämpft in den Raum. An der Schnittstelle von Boden und Wand presst sich Sickerwasser durch die Außenmauer. An den Fugen sammeln sich Tropfen und formen sich zu Bächen, die in der Raummitte eine wachsende Lache bilden. Neben dem Schreibtisch gurgelt eine Fontäne über einem Bodenablauf. An den Fensterscheiben steigt der Pegel Zentimeter um Zentimeter. Zoom in. Bei fünfzig Zentimetern sehen wir die Wasseroberfläche im Anschnitt wie in einem Aquarium; die Welt vor dem Fenster zweigeteilt in Luftraum und Wasserraum. Bei siebzig Zentimetern drückt der Pegel gegen den Fenstermechanismus, der nach innen nachgibt. Ströme bahnen sich durch den Spalt und füllen den Raum. Zoom out. Weißes Gipswasser aus dem Gang tritt unter der Tür hervor. Drei Farben Wasser vermischen sich; Bewegungen durchs Haus; Staubfilme zirkulieren auf der Oberfläche. Vor dem Fenster ist es mittlerweile dunkel und die Scheibe reflektiert das innere Rechteck des Raums, der sich mit Wasser füllt. Schnitt.

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SCHLUSSSZENE: INTERN - FILMLAGER UND EXTERN - SCHLOSSPLATZ.
Auf das rauschende Schwarzbild folgt die Schlussszene als Stummfilm.
Der nächste Morgen. Totale ins Filmlager Richtung Fenster. Im Raum steht dicke Luft unter der Decke. Darunter ist das Wasser auf halber Höhe zwischen den Wänden zum Stillstand gekommen. Staubfilmgebilde treiben auf der Oberfläche; dunkle Ränder auf vollgesaugten Stoff-Cases; ein Spanngurt schwimmt neben einem Regal. Vor den Fenstern erstreckt sich ein Blick in die Welt unter Wasser. Von irgendwo draußen in der Sphäre über dem Flutraum scheint die Sonne. Die Strahlen dringen durch die Wasseroberfläche und die Glasscheiben in den Innenraum und tanzen in einem Netz aus weißen Linien über die Wände. Schnitt. Einige Sekunden Schwarzbild. Das Bild öffnet sich zum Schloßplatz. Totale. Draußen ein kühler Morgen und blauer Himmel. Standbilder. Ein glänzendes Wasserbecken schneidet sich wie eine glatte Scheibe durch die Wände im alten Stadtkern. Straßenmarkierungen, Höhen und Tiefen sind nivelliert auf eine horizontale Ebene. Auf der Bühne des überschwemmten Areals agiert das Schloss. Die Sandsteinfassade strahlt in der grellen Morgensonne. Roter Dunst steigt auf. Schnitt. Finale Luftaufnahme. Immer noch Stummfilm. Bildschirmfüllend zeigt sich das Stillleben der gefluteten Stadtstruktur aus der Vogelperspektive. Das Sonnenlicht blitzt auf der Fläche. Die Architekturen sind im Moment der Flut miteinander verbunden. Außenräume ziehen sich in Innenräume; Durchdringung von getrennten Sphären. Zoom in. Im Zentrum der Überschwemmung tanzt die Spiegelung der roten Schlossfassade auf der glatten Oberfläche, reflektiert die rote Farbe, bricht sich in feuchter Luft. Standbilder. Rotes Wasser, rote Eichen, rote Häuser, roter Damm. Fratzengesichter zucken über die Oberfläche. Schlussbild. Rotes Klima im Radius des Schlosses.

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