Kaiserfahrt
Soundinstallation
als Teil der performativen Tour
let me guide you - tour by an Ausländer
in und um das Wiesbadener Staatstheater
von Vera Boitcova
Wiesbaden Biennale
Hesisches Staatstehater
Wiesbaden, 2022
Performance:
Vera Boitcova
Konzept, Recherche, Regie und Sound:
Josefine Köhler
“Wollte Kaiser Wilhelm II. den Feierlichkeiten (...) des Hessischen Staatstheaters heute beiwohnen, er würde seine Kaiserdurchfahrt nicht finden. Das Tor mit den beiden Säulen auf den Seiten und dem Löwenkopf darüber, durch das seine kaiserliche Hoheit zur Eröffnung 1894 in der Kutsche einfuhr, um sich nicht unters Volk mischen zu müssen, ist heute durch einen Neubau verdeckt.” 1
Der Werkstattanbau aus den Jahren 1973/74 umschließt das Foyergebäude samt Kaiserfahrt ringsherum und erzeugt einen Leerraum dazwischen. Eine Übergangszone, produziert von dem Clash an den Stellen, an denen der brutalistische Anbau in die repräsentativen Mauern des Staatstheaters kracht. Es ist eine Geste des Zumauerns, die mit Fragen nach Kontrolle und Macht verbunden ist.
Vera Boitcova ist eine in Helsinki lebende russische Performance-Künstlerin, Regisseurin, Dramaturgin und politische Aktivistin. Als Teil der performativen Tour let me guide you - tour by an Ausländer basiert die Arbeit Kaiserfahrt auf Recherchen zu der baulichen Erweiterung des Theaters durch den Werkstattanbau. Vera führt Tourist*innen abseits der repräsentativen Fassaden über diverse Stationen im öffentlichen Raum bis in den unaufgeregten Spalt zwischen Alt- und Neubau: die (ehemalige) Kaiserfahrt. Binär gedacht bildet diese Leerstelle die verkörperte Diskrepanz zwischen zwei Polen, Alt und Neu, die einen Kontinuitätsbruch markieren und transportieren. Hier manifestiert sich gleichsam die Präsenz und Absenz des Kaisers. Was in den, so interpretiert Vera, anti monarchistischen 70ern als bewusster Kontinuitätsbruch gewertet wurde um sich der repräsentativen Fassade entgegenzusetzen, genießt heute weitaus weniger Zustimmung. So fordern einige einen Abriss des brutalistischen Baus, um anschließend das Ursprüngliche wieder aus den Mauern herauszupellen und das Gebäude wieder vollständig in die umliegende Wilhelminische Kulisse der Kurstadt einzugliedern.
Um dem etwas entgegenzusetzen, dafür ist Vera da und sie nimmt kein Blatt vor den Mund. Die Tour spürt der Frage nach, welche narrativen Strukturen dem urbanen Raum und den sozialen Kontexten im und um das Theater eingeschrieben sind. Welche Methoden des Blicks auf Stadt müssen wir verlernen, um neue Sichtweisen auf öffentlichen Raum zu finden? Es scheint möglich zu sein den Theaterkomplex mit Alt- und Neubau mit der Darstellung des Vergangenen und des Fehlens, Authentizität, Wahrheit in der Architektur, und Denkmalpflege in Verbindung bringen. Im Feld ortsspezifischer Geschichte und Erinnerungspolitik, aus dem Motiv der Leerstelle und den Diskursen um Originalität ergeben sich Zusammenhänge, die von Vera untersucht werden.
1 Madeleine Reckmann, Anbau des Wiesbadener Staatstheaters lieber abreißen als sanieren, In: Frankfurter Rundschau, 23.09.2019
“I am the floor and the walls. I am the opening upwards and the closure around; a distance. I am the air. I am the negativespace in between the old house and the new house. An object, produced by the clash of the brutalist building of the 70s right into the representation of power. I am a space. Sitespecific. This space. – You can think of me as a void, a space without a use, superfluous, irritating, ugly, disturbing – but I am not without function, because I am not without relation. I am the product of a reaction to a historical heritage, of the sledgehammer, of the big hole in the side of the theater, of the anti-monarchist movements of the 70s. I am collapsing facade, a gesture of walling up the emperor's entry, a denial of his influence. I am this space. A historical reference, I embodie a question of continuity, of control and power. In me manifests the presence and absence of an empire.” - -